Mit diesem Buch hat Eleanor Catton als jüngste Autorin aller Zeiten 2013 den Booker-Preis gewonnen. Völlig zu Recht: «Die Gestirne» ist ein richtiger Schmöker in guter, alter auktorialer Erzählmanier und einer Sprache, die für diese Art von Geschichten wie geschaffen ist. «Die Gestirne» ist ein Goldgräberepos, ein Abenteuerroman, eine Kriminalgeschichte und irgendwo auch ein zarter, beinahe versteckter Liebesroman.
Sehr erstaunt war ich darüber, dass ein derart langer Roman tatsächlich ohne Hauptfigur funktioniert. Die ständig wechselnden Perspektiven, aus denen erzählt wird, erfordern aber nur am Anfang etwas Aufmerksamkeit – mit der Zeit kennt man die Männer und Frauen dieser Geschichte so gut, als ginge man selber durch die Strassen dieser Goldgräberstadt. Die Stimmung, die die Autorin erschafft, tut das ihrige dazu.
Ahnungslos betritt am Abend des 27. Januar 1866 der Schotte Walter Moody, soeben in der Stadt angekommen, das Raucherzimmer des Crown Hotels in Hokitika, Neuseeland. Nach ein paar Minuten erkennt er, dass die zwölf anwesenden Männer sich in diesem Zimmer nicht zufällig eingefunden haben – Moody ist in eine geheime Zusammenkunft gestolpert. Die zwölf ungleichen Männer versuchen, Klarheit über die schicksalshafte Nacht des 14. Januar zu erhalten. Jeder der zwölf hat ein Puzzlestück zu den Geschehnissen dieser Nacht in den Händen, ist am Rande irgendwie damit verbandelt, doch für eine Klärung fehlen noch zu viele Puzzlestücke. Vor dem Leser – und vor Walter Moody – öffnet sich ein Reigen aus Betrügereien, Mord und Totschlag, geheimen Verbindungen, dunklen Vergangenheiten, Gold- und Opiumräuschen, geheimnisvollen Frachten, Racheschwüren und Wahrsagerein.
Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven: Mal folgt der Leser dem Schiffsspediteur Thomas Balfour, mal beobachtet er den Geistlichen Cowell Devlin oder den Gerichtsschreiber Aubert Gascoigne, mal belauscht er den Bankangestellten Charly Frost, den Chinesen Suk Yongsheng, den Zuhälter Dick Mannering, den Apotheker Joseph Pritschard, die Hure Anna Wetherell und noch einige mehr. Die auktoriale Erzählweise erlaubt es dem Leser, von Schauplatz zu Schauplatz zu wechseln, immer neue Informationen zu sammeln, die Hintergründe der Figuren kennenzulernen und konspirativen Gesprächen zu lauschen. Raffiniert weiten sich so die Verstrickungen immer mehr aus, neue Blickfelder tun sich auf, Informationen nehmen Gestalt an, bleiben anderen Figuren jedoch verhüllt. So weitet sich die Handlung in den ersten Teilen des Buches in einem weiten Bogen in langen Kapiteln mit vielen (aber nicht überflüssigen) Hintergrundgeschichten immer mehr. Etwa ab dem letzten Drittel zieht der Verlauf dann wieder engere Kreise, die Kapitel werden kürzer, ein Geheimnis nach dem anderen löst sich, bis der Leser schliesslich befriedigt wie nach einer langen Reise beim Kern der Geschichte ankommt.
«Die Gestirne» ist ein gewaltiges, sehr gelungenes Epos, bei dem sich jede einzelne Seite lohnt.