Schmale Bücher mag ich nicht so. Meistens gibt es darin nicht genügend Raum, um die Figuren richtig zu entwickeln, Nebenhandlungen haben keinen Platz. Aber vor allem sind dünne Bücher einfach zu schnell ausgelesen. Vor allem, wenn sie gut sind.
«Ich hörte die Eule, sie rief meinen Namen» ist zwar auch zu schnell vorbei. Allerdings erzählt es eine Geschichte, die entschleunigt und beruhigt, sodass man sich ganz instinktiv Zeit lässt beim Lesen. Der Rhythmus des Lebens, das darin geschildert wird, scheint sich beim Lesen ein klein wenig in die eigene Welt zu schleichen, und das tut gut.
Ein junger Vikar wird in den 1960ern von seinem Bischof zur Seelsorge in ein kleines Indianerdorf in der Wildnis Nordamerikas entsandt. Was der Vikar nicht weiss (der Bischof aber schon): Der junge Mann hat nicht mehr viel länger als zwei, drei Jahre zu leben. Zitat (des Bischofs): «So wenig Zeit, um so viel zu lernen? Das lässt mir keine Wahl. Ich werde ihn in meinen schwierigsten Pfarrbezirk schicken.»
Schon die Anreise macht deutlich, dass es der Vikar hier mit einer anderen Welt zu tun hat. Er wird nicht unfreundlich, aber auch nicht überschwänglich empfangen, die Kirche bedürfte dringend einiger Bauarbeiten und das Pfarrhaus ist gänzlich baufällig. Aber der Vikar beklagt sich nicht und spürt ganz instinktiv, dass er zunächst nur eines tun muss: warten. Seine erste Aufgabe ist sinnlicherweise eine Beerdigung, und schon hier zeigt sich, dass er neben seinen christlichen Ritualen jene der indigenen Gemeinschaft respektiert. Er verzichtet gänzlich darauf zu missionieren, sondern gliedert sich ein, ohne seine Überzeugungen über Bord zu werfen, nimmt Anteil an Leben und Tod, Freude und Leid der Dorfbewohner. Nie geht es dabei um den Konflikt von Christentum und der indianischen Kultur, vielmehr entsteht ein sich bereicherndes, ergänzendes Miteinander. Das Wirken des Vikars ist geprägt von Nächstenliebe, Unterstützung und Zuspruch, und so gewinnt er mit der Zeit nicht nur Respekt und Anerkennung, sondern es entstehen auch stille, unprätentiöse Freundschaften. Dabei wird aber nichts beschönigt. Der Einfluss der Weissen auf diese indigenen Völker greift ebenso in das Leben der kleinen Gemeinschaft ein wie die Natur selber.
Den besonderen Reiz macht in diesem Büchlein die Mischung aus dem ruhigen Lauf der Natur als Teil der Existenz dieser Menschen und der Entwicklung des Vikars aus, der still und leise eine innere Reife erfährt und schliesslich seinen Seelenfrieden findet. Als ihn dann «die Eule ruft», ist er bereit zu gehen. Zurück bleibt eine seltsame kleine Wehmut – oder ist es eher eine Sehnsucht? Auf jeden Fall ist das Lesen dieses stillen Büchleins, das gänzlich ohne Kitsch auskommt, eine befriedigende, ja eine versöhnliche Erfahrung.