Auf zarte, eindringliche und überaus menschliche Art erzählt der junge Autor Benedict Wells in seinem Roman Vom Ende der Einsamkeit davon, wie drei Geschwister den Unfalltod ihrer Eltern erleben und wie sie versuchen, damit irgendwie klarzukommen. Er stellt die Frage, wie stark ein solches Erlebnis das weitere Leben prägt und ob es möglich ist, dennoch ein «normales» Leben und vor allem funktionierende Beziehungen zu führen. Mit einer tiefen Menschlichkeit, mit Feingefühl und Empathie beleuchtet er das ganze Kaleidoskop an Gefühlen; Zweifel, Mutlosigkeit, Orientierungslosigkeit, unerwiderte Liebe, aber auch Hoffnung, Verbundenheit und die stille Gewissheit, dass jedem Menschen eine Wesenheit innewohnt, die auch mit grossen Katastrophen fertig werden kann. Und natürlich geht es auch um die grosse Frage nach der eigenen Existenz.
Die drei Geschwister – der Ich-Erzähler ist selber der Jüngste im Bunde – wachsen in einer intakten Familie auf, die Eltern führen eine glückliche Ehe. Nur manchmal nimmt der Junge Dinge wahr, die er nicht versteht. Doch dann zerreisst ein Verkehrsunfall die Wirklichkeit, die Eltern sind tot, die drei Geschwister werden in ein Internat abgeschoben und nach Jahrgängen getrennt. Liz, die Älteste, die sich schon immer so benommen hat «als stehe sie ständig auf einer Bühne», entdeckt bald die Drogen und die Männer. Marty, der in der Familie der unbeliebte Klugscheisser war, entwickelt sich zum Nerd und später nicht nur zum erfolgreichen Geschäftsmann, sondern auch zu einem stabilen Weggefährten. Der Ich-Erzähler Jules verliert seine Extrovertiertheit und sein Draufgängertum, wird melancholisch, grüblerisch und ängstlich. In dieser Einsamkeit kommt Alva in seine Klasse, die beiden freunden sich an, sie scheint ihn auf eine unausgesprochene Art zu verstehen. Viel zu spät erkennt Jules, dass er sich in sie verliebt hat. Aber er kann das weder vor sich noch vor Alva eingestehen und verliert sie aus den Augen. Auch die Geschwister gehen lange Zeit ihre eigenen Wege auf der Suche nach sich selbst, bis sie sich wieder finden.
Jules erzählt zu einem grossen Teil in Rückblicken in die Kindheit, reflektiert das Verhältnis zum Vater und erkennt im Laufe der Jahre, dass nicht alles so war, wie es schien. Eine wichtige Rolle spielt eine Fotokamera, die Jules von seinem Vater als letztes Weihnachtsgeschenk bekommen hat. Zwei Jahre lang versucht er denn auch, sich als Fotograf sein Leben zu verdienen, bis er schliesslich erkennt, warum das nicht funktionieren kann. Jules lässt sich mehr oder weniger durch sein Leben treiben, bis er eines Tages Alva wiedertrifft. Auch in der Beziehung zu ihr erfährt er im Nachhinein, dass nicht alles so war, wie er es sich in der Erinnerung zurechtgelegt oder es interpretiert hat. Die beiden verbindet neben ihrer Liebe auch die Frage, wie frei ein Mensch in seinen Beziehungen vor dem Hintergrund biografischer Belastungen sein kann.
Benedict Wells erzählt davon, ob und wie der Mensch sein Schicksal meistern und wie er aus der Einsamkeit ausbrechen kann. Er erzählt von einem unerschütterlichen Zusammenhalt, auch wenn sich dieser nicht konstant im Äusseren widerspiegelt. Er erzählt die Geschichte einer berührenden Liebe und entwirft in seiner nüchternen Sprache immer wieder Bilder, die sitzen. Etwa wenn die Mutter den Streit zweier Geschwister schlichten muss und dies mit einem Blick tut, der «ein Meisterwerk» ist. Auch die Erzähltechnik ist überzeugend; scheinbar überraschende Wendungen erscheinen, wie gewisse Ereignisse in der Geschichte selber, im Nachhinein vorhersehbar. Aber eben erst im Nachhinein, fast ein wenig wie zufällig. Ein Kunstgriff, der so gekonnt ist, dass man ihn beinahe übersieht.
Alles in allem ist «Vom Ende der Einsamkeit», obwohl es von Schicksalsschlägen und menschlichen Wirrungen erzählt, ein versöhnliches, hoffnungsvolles und zutiefst menschliches Buch. Und es ist endlich mal wieder ein Buch, das den roten Sticker «Bestseller» verdient hat.