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Wald

 Autor: Doris Knecht  Verlag: Rowohlt Taschenbuch  Seiten: 272
 Beschreibung:

Dass eine Geschichte auch ohne viel Handlung fesselnd sein kann, beweist Wald von Doris Knecht. Es ist mein zweites Buch von der  Autorin (nach Besser), und auch diesmal haben mich ihre Sprache und ihr Einfühlungsvermögen in das menschliche Innenleben überzeugt. Ich werde definitiv noch mehr von dieser Autorin lesen.

Worum geht es? Marian hat alles verloren: ihr Unternehmen als High Class-Modedesignerin, ihre Luxus-Wohnung, die wohlhabenden Bekanntschaften, die Wochenendtrips. Die wirtschaftliche Krise, eigene Fehler, ein wenig Grössenwahn und eine Beziehung, die ihren Verstand zeitweise ausschaltete, trieben sie in den Bankrott. Ihr Schuldenberg ist so hoch, dass sie ihn niemals wird abtragen können. Also hat sie sich aus dem System ausgeklinkt und lebt zurückgezogen und als Beinahe-Selbstversorgerin im geerbten Haus auf dem Land. Diese Existenz wird zum Überlebenskampf, konfrontiert Marian aber auch mit längst fälligen Fragen.

Gänsehaut in der Sommerhitze
Einen Tag lang begleiten wir Marian in ihrem neuen Leben, das sie mehr schlecht als recht meistert. Wir erleben mit, was es heisst, wenn man nicht einfach den Regler an der Heizung hochschalten kann, nicht eben mal zum Supermarkt fahren oder heiss duschen. In Rückblenden erfahren wir, wie es dazu gekommen ist, dass Marian nun fischt, Hühner stiehlt und Gemüse anbaut. Wenn sie von ihrem ersten Winter erzählt, den sie fast nicht überlebt hätte, bekommt man auch in der Sommerhitze Gänsehaut. Die Abwärtsspirale wird in kleinen Häppchen serviert, immer begleitet von Marians Selbstreflektion. Denn obwohl Marian sich vor der Welt versteckt, versteckt sie sich nicht vor sich selbst. Schonungslos seziert sie ihren Absturz und die Fehler, die sie gemacht hat. Vollkommen auf sich selbst zurückgeworfen, wird sie auch von der bürgerlich-brüchigen ländlichen Gemeinschaft argwöhnisch beäugt, gar bedroht. Nur zu einer Nachbarin entstehen vorsichtige Bande.

Und dann ist da noch Franz, der reichste und einflussreichste Bauer in der Region. Er entpuppt sich als ihr Unterstützer, Beschützer, fordert aber eine Gegenleistung. Auch hier besticht die Autorin mit teilweise fast brutal ehrlichen, philosophischen Betrachtungen über die Möglichkeiten von Partnerschaften und darüber, welche Abhängigkeiten und Machtgefälle sich auch in scheinbar «normalen» Beziehungen verbergen.

Vollends überzeugend
Doris Knechts Sprache ist klar und doch sinnlich, präzis, prägnant und mitreissend – man friert mit Marian mit, riecht das frisch gebackene Brot. Knecht beobachtet scharf, beschönigt nichts und zieht den Leser mit ihrem kühlen und dennoch menschlichen Realismus und ihrem Einfühlungsvermögen mitten ins Geschehen hinein, aber auch mitten in die Gedanken und Gefühle ihrer Protagonistin. Mit Wald stellt sie die Frage, was mit einem Menschen geschieht, wenn ihn die Gesellschaft ausspuckt – die Gesellschaft, an der sie untergründig Kritik übt, sowohl an der konsumgetriebenen Variante als auch an jener vom angeblich so idyllischen Landleben. Vor allem aber führt sie uns eine Frau vor, deren Scheitern nur vordergründig ein Scheitern ist und die durch ihren Absturz nicht nur ihre verborgene Stärke entwickelt, sondern sich nicht scheut, ehrlich und ungeschönt in den Spiegel zu schauen und sich auch mit ihren Unzulänglichkeiten anzufreunden. Und zum Ende der Geschichte etwas Hoffnung am Horizont aufblitzen sieht.

Besonders beeindruckt hat mich Doris Knechts überzeugendes Gespür für die Menschen in der heutigen Zeit und ihre Fähigkeit, die komplizierten Gefühlswelten ihrer Figuren lakonisch und uneitel zu entblättern. Damit hat mich die Autorin von ihrem Können vollends überzeugt.

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