Alle drei Bücher, die ich im Januar angefangen habe, habe ich beendet, und die Seitenzahl darf sich mit 1095 durchaus sehen lassen. Von der Herkunft war es ein perfekter Mix: Ein Buch habe ich neu gekauft, eines aus der Bibliothek entliehen und eines wartete in meinem Regal schon lange auf seinen Auftritt. Ein Buch schaffte es in die Lese-Empfehlungen – nicht nur, weil ich es gerne gelesen habe, sondern weil ich es für ein sehr wichtiges Buch halte.
Der Nachtzirkus von Erin Morgenstern (490 Seiten)
übersetzt von Brigitte Jakobeit
Der Nachtzirkus erzählt die Geschichte von Marco und Celia, die beide von ihren Lehrern – bei Celia handelt es sich dabei um ihren Vater – in Magie ausgebildet werden. Beide wissen, dass dies zum Zwecke eines Wettstreits geschieht, aber mehr wissen sie nicht. Auch ihren Kontrahenten kennen sie lange Zeit nicht. Die beiden Lehrer ersinnen als Austragungsort einen Zirkus, der aber erst erfunden werden muss; Le Cirque des Rêves. Dieser wiederum wird von einem illustren Grüppchen ersonnen; einer ehemaligen Balletttänzerin, einem magischen Uhrenbauer, zwei Schwestern, die sich wie Zwillinge ähneln, einem Architekten und einer Verrenkungskünstlerin. Der Schirmherr des Projekts ist sogleich der Arbeitgeber von Marco, und Celia wird als Zauberkünstlerin engagiert. Der Zirkus besteht nicht aus einem, sondern aus ganz vielen unterschiedlichen Zelten, in jedem gibt sich der Besucher der Magie auf eine andere Weise hin, und das Besondere an diesem Zirkus ist, dass er über Nacht plötzlich auftaucht, ohne Vorankündigung, wie von Zauberhand. Er öffnet bei Einbruch der Dämmerung und schliesst bei Tagesanbruch. Und dann ist da noch Bailey, der als Junge von seiner Schwester zu einer Mutprobe genötigt, tagsüber in den Zirkus eindringt und dort auf ein Mädchen mit feuerroten Haaren trifft. Irgendwann erfahren Celia und Marco, dass sie gegeneinander antreten müssen, aber da haben sie sich längst ineinander verliebt. Was dem Ganzen einen schrecklich tragischen Dreh gibt, denn sie wissen beide: Den Wettkampf kann nur einer überleben. Die Geschichte wird in auktorialer Erzählweise und in Zeitsprüngen erzählt, nicht immer chronologisch. Sie beginnt 1873 und endet 1903.
Überbordende Fabulierlust
Anfangs nahm mich die Magie dieser Geschichte gefangen, ich fand die Idee des Zirkus’ und die einzelnen Mitspieler zauberhaft und charmant, und als Leser wünscht man sich, dass unsere Welt auch ein wenig magischer wäre. In der Mitte des Buches zog sich die Handlung dann arg in die Länge und die Fabulierlust der Autorin überbordete, vieles wird sehr ausführlich und detailliert beschrieben. Später kommen erste Risse in der perfekten Zirkuswelt ans Licht, Fragen tauchen auf, und Celia und Marco kommen der Wahrheit, worum es bei dem Wettstreit wirklich geht, immer näher, denn der ist ganz anders, als sie es sich vorgestellt haben. Auch da zieht sich die Handlung leider in die Länge und wird von den Zeitsprüngen mehrmals unterbrochen, was mich immer wieder aus der Handlung hinausgeworfen hat. Warum genau dieser Wettstreit stattfinden musste, hat sich mir nie erschlossen, ausser dass zwei ältere Männer sich gegenseitig beweisen mussten, wer der Bessere ist und dabei kein Mitleid kannten. Die Schlussszene hat mich dann wieder etwas versöhnt. Es ist eine Art Epilog, in der einer der Magier einem Jungen aus dem Zirkus erklärt, warum das Geschichtenerzählen so wichtig ist: «Someone needs to tell those tales. When the battles are fought and won and lost, when the pirates find their treasures and the dragons eat their foes for breakfast with a nice cup of Lapsang souchong, someone needs to tell their bits of overlapping narrative. There’s magic in that. It’s in the listener, and for each and every ear it will be different, and it will affect them in ways they can never predict. From the mundane to the profound. You may tell a tale that takes up residence in someone’s soul, becomes their blood and self and purpose. That tale will move them and drive them and who knows what they might do because of it, because of your words. That ist your role, your gift.» S. 482 (englische Ausgabe)
Wer sich also gerne in eine magische Welt entführen lässt und etwas Durchhaltevermögen hat, für den ist dieses Buch sicherlich ein Lesegenuss. Ich habe das Buch auf englisch gelesen, die deutsche Übersetzung kann ich deshalb nicht beurteilen.
Permanent Record – Meine Geschichte von Edward Snowden (429 Seiten)
übersetzt von Kay Greiners
Vom Magischen ging es dann in die knallharte Realität: zu Edward Snowdens Biographie. Er erzählt darin, wie er zum Computerfreak wurde, später im Geheimdienst landete und was ihn schliesslich bewogen hat, 2013 zum Whistleblower zu werden. Gerade in der heutigen Zeit, in der viele von uns tagtäglich bedenkenlos ihre Zertifikate einlesen lassen, ist dieses Buch überaus wichtig. Mehr darüber gibt es in der Lese-Empfehlung.
Der Präsident von Georges Simenon (176 Seiten)
übersetzt von Renate Nickel
Einmal Präsident, immer Präsident. Augustin jedenfalls wird immer noch als solcher angesprochen, auch wenn er mit 82 Jahren und zunehmenden Gebrechen in der grossen Politik längst ausgedient hat. Er lebt zurückgezogen mit ein paar Bediensteten in seinem kleinen Haus in der Normandie. Von hier aus verfolgt er, wie die Regierung in Paris zerbricht und sieht darin seine grosse Chance, nicht zuletzt, weil er über den neuen ersten Mann im Staat ein vernichtendes Schriftstück besitzt. Während Augustin auf den alles entscheidenden Anruf wartet, lässt er sein Leben Revue passieren, erinnert sich an politische Schachzüge, Affären, Machenschaften. Man erfährt von seiner kurzen Ehe, seiner ihm völlig entfremdeten Tochter und einem ehemaligen Schulfreund, der zum Feind geworden ist und sich immer mal wieder bei ihm meldet mit einer ganz bestimmten Nachricht: “Ich werde zu deiner Beerdigung gehen.” Der Arzt kommt und geht, die Pflegerin verpasst ihm seine tägliche Spritze, die Sekretärin befolgt seine Befehle, und zum Schluss besinnt sich der alte Mann eines Besseren und macht eine innere Wandlung durch. Das Ganze zieht sich auf den wenigen Seiten in die Länge und hat mich nicht packen können. Dieses Büchlein darf auf jeden Fall bei mir wieder ausziehen.
Lesemonat Januar 2022 als PDF.
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