Pferde stehlen von Per Petterson
Pferde stehlen
Per Petterson
übersetzt von Ina Kronenberger
Carl Hanser Verlag
247 Seiten
Ich lese Bücher selten zweimal. Nicht nur, weil es noch sooo viele andere gibt, die ich lesen möchte, sondern auch, weil ich Respekt davor habe. Was, wenn ich dann denke: Was? DAS hat mir mal gefallen? Wie peinlich. Oder enttäuschend. Trotzdem: Ich habe es gewagt. Nicht zuletzt, weil ich am Ausmisten bin und sicher sein will, dass meine Lieblingsbücher auch wirklich immer noch meine Lieblingsbücher sind. Und so habe ich das Buch «Pferde stehlen» von Per Petterson noch einmal gelesen. Und ich kann nur sagen: zum Glück! Es hat mir noch besser gefallen als damals. Dieses Buch bleibt definitiv bei mir!
Worum gehts?
Trond ist 67, Wittwer, und hat sich ein einsames Haus in Ostnorwegen gekauft. Da lebt er sehr zurückgezogen, hat noch nicht einmal ein Telefon, geht nur zum Einkaufen ins Dorf und verbringt seine Tage damit, das Haus für den Winter klarzumachen und mit seiner Hündin spazieren zu gehen. Er sagt über dieses Haus: «Es soll der letzte Ort sein, an dem ich wohne.» Es ist ein melancholisches Dasein, das er sich ausgesucht hat. Nicht weit von ihm wohnt der einzige Nachbar, ebenfalls ein älterer Mann. Als dieser eines nachts seinen Hund sucht, schliesst Trond sich ihm an, und nach kurzem ist beiden klar: Sie kennen sich bereits. Aus dem Sommer 1948.
Diesen Sommer hat Trond ebenfalls in einer abgelegenen Hütte nahe der schwedischen Grenze verbracht, gemeinsam mit seinem Vater. Während Trond an seinem Haus werkelt, Holz für den Winter bereit macht und mit dem Nachbarn eine Birke von seinem Hof entfernen muss, die ein Sturm umgerissen hat, erinnert er sich an diesen Sommer; an das tragische Unglück, das seinem Freund widerfahren ist, an die Mutter des Freunds, die in Trond unbekannte und verwirrende Gefühle erweckte und ganz besonders an die Art, wie der Sommer endete. Vater und Sohn kamen sich dabei so nahe wie nie.
Eindrückliche Sprachbilder
Die Ereignisse dieses Sommers werden in Rückblenden erzählt, in wunderbar stillen, eindringlichen Tönen. Da gibt es Sätze wie «Es war ein Gefühl, das von ich weiss nicht wo in mir hochstieg, irgendwoher aus der Dunkelheit vielleicht, wo etwas in einer völlig anderen Zeit passiert war, oder von einem Moment in meinem eigenen Leben, den ich längst vergessen hatte.» (S. 16) Man liest von «Birken, die seltsam gross waren und einsam und ohne Rückendeckung dastanden» (S. 28) Man kann beinahe den Fluss plätschern und den Wind durch die Bäume streichen hören, den Wald riechen, man fühlt sich ein in die beglückenden, verwirrenden und schmerzhaften Gefühle des sechzehnjährigen Tronds. Was dieser nicht wusste und von einem Freund des Vaters erzählt bekam: Sein Vater war schon einmal hier, im Krieg, um Flüchtlingen über die Grenze nach Schweden zu helfen. Und dabei hat er sich verliebt. Doch da ist noch mehr, was Trond nicht weiss …
Pettersons Sprache ist einfach und doch von grosser Intensität; man folgt ihnen willig, man glaubt das Sägemehl zu riechen, wenn der Vater unbedingt im Sommer die Bäume fällen will, man spürt die Hitze der Männer beim Arbeiten, aber auch jene von Trond, wenn ihm die Mutter seines Freunds unbeabsichtigt nahe kommt. Noch ein Sprachbeispiel: «So packten wir zusammen, sattelten die Pferde, bevor ich meine Träume aus dem Kopf bekam, und waren unterwegs, ehe ich etwas anderes als ganz einfache Gedanken haben konnte.» (S. 222) Petterson ist ein atmosphärisches Buch mit vielen Böden gelungen, ein gleichzeitig melancholisches und versöhnliches Buch, bei dessen Lektüre man sich wunderbar geborgen fühlt. Kein Wunder, hat Petterson für das Buch zwei Preise erhalten.
Wie immer empfehle ich für die Bestellung die unabhängige Buchhandlung Bider&Tanner, die kostenlos in die Schweiz versendet.
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