Vom Leben mit Büchern
Es soll tatsächlich Haushalte geben, in denen das einzige Buch das Telefonbuch ist. Und dies nicht etwa, weil deren Bewohner Bibliothekengänger sind, sondern weil es sage und schreibe Menschen gibt, die keine Bücher lesen. Können Sie sich das vorstellen? Ich nicht.
Bücher waren schon immer ein fester Bestandteil meines Lebens. Als Kind füllte ich meinen Ferienkoffer jeweils nur zur Hälfte mit Kleidern, die andere Hälfte war für Bücher reserviert. Auf einen dreiwöchigen Familienurlaub nahm ich mindestens sechs Bücher mit, und niemals brachte ich auch nur eines davon ungelesen zurück. Meine Eltern waren über meine Lesesucht Gott sei Dank erfreut. Erst viel später wurde mir bewusst, dass meine Mutter wahrscheinlich extra für mich auch in den Ferien noch Wäsche wusch – ein halber Koffer voller Kleider reichte nun mal nicht für drei Wochen. Und mit meinem Vater hatte ich wohl ein stilles Ferien-Abkommen in Form einer halbwegs gerechten Zeitaufteilung zwischen Lesezeit und Wanderzeit.
Sehr einfach hatten es dagegen meine Verwandten, wenn es um Weihnachtsgeschenke ging: “Sabina? Die bekommt ein Buch!” Meine Mutter musste lediglich auf dem Laufenden sein, welchen Band von „Blitz, der schwarze Hengst“ oder der „Fünf Freunde“ ich gerade las, damit mir meine Patentante oder meine Grosseltern auch ja den richtigen Folgeband schenken konnten. Weihnachten war für mich dann auch nicht die Bescherung, das gute Essen oder der Weihnachtsbaum. Weihnachten war der Morgen danach: Aufwachen, nach dem Stapel auf dem Nachttisch schielen, ein Buch nach dem anderen in die Hand nehmen, darin blättern, ja sogar daran riechen. Und mich dann, nach langem Überlegen, für eines entscheiden. Das Herrlichste daran war, dass die anderen Familienmitglieder meist noch schliefen und ich diesen besonderen Tag des Jahres so beginnen konnte, wie ich es mir schöner nicht vorstellen konnte: lesend im Bett.
Heute ist einiges noch genauso wie damals. Dass ich zum Beispiel nirgends ohne Buch hingehe. Viel eher vergesse ich mein Handy. Aber einiges hat sich doch verändert. Ich bin geduldiger geworden und lasse den Büchern etwas Zeit, bevor ich mich über sie hermache. Ich habe mich von einer Vielleserin zu einer Tiefleserin entwickelt. Ich mag es nicht mehr, Geschichten gierig und ohne Zwischenstopp eine nach der anderen zu verschlingen. Ist ein Buch ausgelesen, muss ich zuerst Abschied nehmen und Raum schaffen. Warten, bis der Nachhall der Geschichte abklingt und ich die Figuren weiterziehen lassen kann. Für diese „Zwischenzeiten“ gibt es Sachbücher, Zeitschriften und allerlei Blogs.
Ist es dann Zeit für den nächsten Roman, geht die Auswahl beinahe genussvoll vonstatten. In diesen Momenten ist mein Büchergestell das wichtigste Möbelstück in meiner Wohnung. Denn was dort steht, ist grösstenteils noch ungelesen, da ich ein eben gekauftes Buch höchst selten sofort zu lesen beginne. Es wandert an den ihm zustehenden Platz im Alphabet und wartet. Wie lange, vermag niemand zu sagen. Mein Büchergestell ist also die pure Verheissung. Ich schleiche drum herum, stehe davor, lasse meinen Blick über die Buchrücken gleiten und spüre, wie mein Herz schneller zu schlagen beginnt. Kann sein, dass ich ein Buch mehrere Male in die Hand nehme, durchblättere, den Klappentext lese und dann, vielleicht, wieder zurückstelle. Vielleicht auch nicht. Warum weiss ich nicht. Ich weiss auch nicht, weshalb dann gerade dieses oder jenes Buch das Rennen macht. Dies ist wohl eine Angelegenheit zwischen meinen Büchern und mir. Fest steht aber, dass es meist genau das richtige ist.
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