Vom Novemberschreiben II
Am 1. Dezember habe ich geschwänzt. Nach dreissig Tagen der erste Tag ohne die magischen 1667 Wörter. Denn dieses Jahr habe ich es getan: beim Novemberschreiben mitgemacht. Beim «National Novel Writing Month», kurz «NaNoWriMo», bei dem sich Abertausende Menschen auf der ganzen Welt der Herausforderung stellen, innerhalb von dreissig Tagen den Erstentwurf eines Romans von mindestens 50‘000 Wörtern zu schreiben. Ich wollte schon seit Jahren mitmachen (siehe auch meinen Blogbeitrag vom 5. November 2015), aber ein Blick in die Agenda genügte – keine Chance. Doch dieses Jahr war es anders. Dieses Jahr gab ich im Oktober eine zeitintensive ehrenamtliche Aufgabe ab. Dieses Jahr gab mir eine Schreibkollegin – ebenfalls im Oktober – eine meiner Kurzgeschichten zurück mit der Bemerkung: «Kannst du nicht machen – ich will wissen, was in dem Brief steht …» Und schon überschlugen sich die Ideen, meldete sich die alte Lust, endlich etwas Längeres zu schreiben, wurde die Idee zum Plan. Die restliche Zeit im Oktober plottete ich, versuchte, meine Figuren kennenzulernen und schrieb Hintergrundgeschichten. Das ist alles erlaubt. Nur an der wirklichen Geschichte darf man erst ab 1. November schreiben. Ich registrierte mich auf der Webseite des NaNoWriMo und wurde immer aufgeregter. Und dann ging es los.
Die erste Woche war ein Klacks, der Enthusiasmus gross, die Wörter flossen nur so von den Tasten auf den Bildschirm. Easy, dachte ich, no problem. Täglich trug ich die geschriebenen Wörter auf der Webseite ein, die mir dann automatisch ausrechnete, in welchem Durchschnittstempo ich schrieb und wie viele Wörter ich täglich noch schreiben müsse, um rechtzeitig fertig zu werden. Ich hatte sogar Reserve. In der Woche zwei fuhr ich sehr viel Zug, mein Auto hatte Ferien, denn im Zug kann ich super schreiben. Ich nahm meinen Laptop überallhin mit und nutzte jede Minute, um meinen «word count» nach oben zu treiben. Die Reserve hatte ich zwar langsam aufgebraucht, aber ich war noch auf Kurs. Die Geschichte entwickelte sich, manchmal nach meinen Plänen, manchmal auch nicht. Egal, Hauptsache vorwärts schreiben.
Und dann kam Woche drei. Der Enthusiasmus hatte sich aus dem Staub gemacht, der Alltag mit all seinen Ansprüchen und Tücken wollte mich wiederhaben, und meine Kreativität lag erschöpft im Bett und wollte nicht mehr aufstehen. Die Geschichte benahm sich wie ein störrischer Esel. Ich fand sie öde und uninteressant. Wen interessiert das schon? Und warum mache ich das überhaupt? Und doch: Aufgeben? Niemals! Ich hatte schon mehr als 30‘000 Wörter, soviel wie noch nie. Also ging es jetzt nur noch um Disziplin. 1667 Wörter, jeden Tag. Egal was, egal wie. Einfach weiterschreiben. Und mir auf Facebook in der WriMo-Gruppe Tipps holen. Ein wenig klagen. Mich ermutigen lassen. Wozu hat man schliesslich Schreibfreunde, auch wenn man sie noch nie gesehen hat und sie wahrscheinlich auch nie sehen wird? Ich tippte, und ich hoffte auf eine Überraschung, eine Einsicht, eine Wendung …
Es geschah beim Zähneputzen. Da sah ich sie, die argentinische Landschaft, das Unwetter, den Blitz … Ich wusste, was da geschehen würde, geschehen musste und warum und was das für Folgen haben würde und welche Einsichten und wie das ablaufen würde und dass dann der grosse schwarze Hund … Ich spuckte aus, spülte den Mund und rannte zu meinem Computer. Es war dramatisch (die Szene, nicht das Zähneputzen), und die Wörter zählten sich. 38‘000, 39‘000, 40‘000! Alles ergab Sinn, alles war gut, ich musste es nur noch schreiben.
Ganz so klar war es dann doch nicht, in der letzten Woche, aber mein Schwung war wieder da, das Schreiben hatte eine neue Farbe bekommen. Mit fliegenden Fahnen bog ich auf die Zielgerade ein. 41‘000, 42‘000, 43‘000. In der Facebook-Gruppe hatten einige die 50‘000-Marke schon geknackt, hatten ihr Gewinnerzertifikat schon erhalten. 44‘000, 45‘000, und ich wusste, dass meine Geschichte bei 50‘000 noch nicht zu Ende sein würde. Egal. Die Zeit lief schneller, ich schrieb schneller, und ich wusste: Ich würde es schaffen. Drei Tage vor Schluss war ich bei 46‘000, und am zweitletzten Tag, am 29. November, schrieb ich im Zug nach Basel, ich schrieb in der Strassenbahn, im Schreibkurs, ich schrieb im Postauto, und als ich um elf Uhr nachhause kam, da fehlten mir noch knapp tausend Wörter. Also liess ich das Bettchen noch ein wenig auf mich warten. Kurz vor Mitternacht gab ich die magische Zahl auf der NaNoWriMo-Webseite ein und erhielt kurz darauf mein Gewinnerzertifikat zugestellt.
Geschafft.
Ich habe das Zertifikat gerahmt und schaue es jeden Tag an. Und wie es so ist mit Herausforderungen: Wenn man sie gemeistert hat und zurückschaut, war es meist «gar nicht so eine Sache». Doch obwohl man beim Schreiben alleine ist, geht es auch da nicht ohne Unterstützung. Von meinen Schreibfreunden, von der WriMo-Gruppe auf Facebook, von meinem Partner, der während meinen Schreibzeiten auf Zehenspitzen durchs Haus geschlichen ist. Und schlussendlich von meinen Figuren, die sich mit mir verbündet haben, um ihre Geschichte von mir erzählen zu lassen. Ich bin stolz auf sie. Und ein klein wenig auch auf mich.
Ach ja, noch etwas für alle, die mich jetzt fragen, wann sie denn meinen Roman kaufen könnten: Momentan bin ich bei knapp 59‘000 Wörtern und noch immer nicht ganz fertig. Und wenn ich das geschafft habe, dann gibt’s erst mal ein Päuselchen. Und dann fängt die grosse Arbeit erst richtig an – das Überarbeiten. Denn beim NaNoWriMo geht es nicht um die Qualität, es geht um die Menge. Und die muss jetzt erst mal gebändigt werden. Da wird einiges rausfliegen, anderes wird dazukommen. Und alles muss gefeilt und geschliffen werden. Mehrmals. Ich nehme mir dazu Zeit bis zum 31. Oktober 2018.
Denn ab dem 1. November, da habe ich dann wieder etwas anderes zu tun …
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