Vom Schreiben
Als ich etwa elf Jahre alt war, begann ich ein Buch zu schreiben. Es handelte natürlich von einem Mädchen, das ein eigenes Pferd besass. Dass ich jemals ein eigenes Pferd besitzen würde war damals etwa so unwahrscheinlich wie Miss World zu werden. Ich schrieb ganze drei Kapitel. Die Anfangsszene ging so: Das Mädchen reitet durch den Wald, und plötzlich scheut ihr Pferd. Aber als geübte Reiterin weiss sie genau, was zu tun ist. Das Pferd vertraut ihr, beruhigt sich und geht schliesslich an der vermeintlich gefährlichen Stelle vorbei. In meinem kindlich unbedarften Selbstvertrauen glaubte ich, eine Leseratte wie ich könne ohne weiteres ein tolles Buch schreiben. Wobei das nicht ganz stimmt: Ich dachte nicht einmal darüber nach, ob ich es könnte oder nicht. Ich wollte es einfach tun, setzte mich hin und fing an. Ein Buch zu schreiben traute ich mir zu, es zu einem eigenen Pferd zu bringen, nicht.
Ich habe das Buch nicht geschrieben, aber mit 30 Jahren kaufte ich mir ein Pferd. So ist das mit den Träumen. Die einen lassen sich kaufen, die andern laufen still und leise jahrelang neben einem her. Manche behandelt man so schlecht, dass sie irgendwann das Weite suchen. Aber andere tauchen mit einer beinahe lästigen Standhaftigkeit immer wieder auf. Meiner sorgte zum Beispiel dafür, dass ich mich in meinem rechtschaffenen, salonfähigen Beruf nie so recht wohl fühlte und oft die Stelle wechselte. Der Rat eines Bekannten, meine Liebe zur Schreiberei in meinen Beruf zu integrieren, schien mir damals die Lösung zu sein. So wurde ich zuerst Werbetexterin, dann Journalistin und Redaktorin, und schliesslich Kommunikationsfachfrau. Hauptsache schreiben.
Jahre später klopfte er wieder an, mein Traum, und er hatte recht: Das war’s nicht. Ich schrieb zwar, aber eben das, was andere von mir verlangten. Ich formulierte so, wie sie es für richtig hielten. Ich schrieb um, wenn es ihnen nicht gefiel. Dabei las ich zwar viele Bücher übers Schreiben, absolvierte einen Lehrgang über literarisches Schreiben, war bei Schreibgruppen dabei und brachte auch einiges zustande. Aber das alles geschah „nebenbei“. Und damit liess sich mein Traum nun mal nicht abfertigen. Ich hatte das Gefühl, ihn irgendwie verraten zu haben.
Kürzlich machte ich einen Krankenhausbesuch. Ganz in der Nähe des Krankenhauses war ich aufgewachsen, und meine Begleitung schlug vor, meinem damaligen Zuhause einen kurzen Besuch abzustatten. Als ich vor dem Haus stand, wurde ich ganz still. Hier war ich als kleines Mädchen ein und aus gegangen, hatte mit meinen Freundinnen gespielt und für mein Meerschweinchen Gras gepflückt. Doch dann verdrängte eine ganz bestimmte Szene all die anderen Erinnerungen: Ein Mädchen, das an seinem Schreibtisch sitzt und in seinen Schulheften mit Worten die Welt erschafft, in der es leben will.
Das unbedarfte Selbstvertrauen von damals ist verschwunden. Aber dem Buch, das noch immer nicht geschrieben ist, ist das egal …
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