Vom Umziehen
«Wir ziehen weg», sagt meine Bekannte Edith (die in Wirklichkeit ein wenig anders heisst). «Bruce ist versetzt worden. Wir gehen zurück nach Amerika.»
«Amerika?!»
«Chicago», sagt sie, und es klingt, als wäre das nicht ihre erste Wahl.
Edith ist Amerikanerin, hat einige Jahre in Deutschland gelebt, dann in England, und vor vier Jahren kam sie mit ihrer Familie in die Schweiz. Mit Sack und Pack und Kind und Kegel ist sie ihrem Mann gefolgt, dessen Karriere ihn immer wieder in ein anderes Land verfrachtet hat. Jedes Mal hat Edith die Sachen gepackt und sich und ihrer Familie am neuen Ort wieder ein Zuhause geschaffen. Sie musste sich in der fremden Umgebung zurechtfinden, sich mit einer neuen Kultur, einem neuen Bewusstsein auseinandersetzen und manchmal sogar mit einer anderen Sprache. Das dauert. Vor allem Freundschaften brauchen Zeit, um zu wachsen. Und diese Freunde muss Edith jetzt wieder zurücklassen.
Auf dem Heimweg bin ich ein wenig demütig. Auch ich ziehe um. Und obwohl ich mich auf viele Dinge freue – den Garten mit Sitzplatz, das eigene Atelier, die Aussicht auf die Alpen direkt vom Bett aus – habe ich doch auch meine Bedenken. Ich habe fast mein ganzes Leben in der Region Basel verbracht, von einem kleinen, desaströsen Abstecher in den Aargau abgesehen. Ich kenne mich hier aus. Ich brauche nicht zu überlegen, welche Strasse ich nehmen muss oder in welchem Geschäft ich was bekomme. Ich gehe seit vielen Jahren zum gleichen Coiffeur, ins Fitnesscenter, ich habe eine Lieblingsbuchhandlung und kenne die schönsten Routen für einen Sonntagsspaziergang. In meiner neuen Heimat, der Region Bern, muss ich das alles erst wieder auskundschaften. Das kann aufregend sein, es kitzelt den Entdeckergeist. Aber es wird eine Zeitlang dauern, bis ich mich heimisch fühle, und es wird wohl auch die eine oder andere Enttäuschung geben. Und das ist dann der Moment für Heimweh. Für ein wenig Einsamkeit, ein bisschen Verlorenheit. Denn so sehr man sich freut, so sehr man sich vorher informiert, Pläne macht, sich mit dem Partner abspricht: Ein Umzug ist auch immer ein Stückchen Risiko.
Das hält sich bei mir aber in Grenzen. Denn ich kann mich auch nach meinem Umzug jederzeit in mein Auto setzen und nach Basel fahren. Ich kann meine Haare weiterhin bei meiner Coiffeuse schneiden lassen, mich im Lieblingscafé mit meinen Freunden treffen, in Basel shoppen gehen. Edith kann das nicht. Wenn Edith künftig ins Theater gehen will, muss sie spätestens um vier Uhr nachmittags losfahren, damit sie trotz der Rush-Hour rechtzeitig da ist. Sie kann nicht einfach ins 11er-Tram steigen und in zwanzig Minuten in der Stadt sein oder nach dem Kinobesuch mit dem Taxi nachhause fahren. Sie lebt dann nicht nur in einem anderen Land, sondern auf einem anderen Kontinent, und das nicht mal aus freien Stücken. Daran werde ich denken, sollte mich in den kommenden Wochen das Heimweh besuchen.
«Ich könnte das nächste Mal über Chicago fliegen, wenn ich in die USA reise», sage ich zu Edith, als wir uns das nächste Mal sehen.
Sie nickt. «Bring Schokolade mit.»
Ja, denke ich, Schokolade hilft auch gegen Heimweh.
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