Von der Sehnsucht
Ich weiss jetzt, warum man das sagt – krank sein vor Sehnsucht. Weil man krank ist, tatsächlich. Ich bin eines Morgens mit dieser Krankheit erwacht, wie an anderen Tagen mit Durst oder Kopfschmerzen. Nur dass man Durst leicht löschen und Kopfschmerzen mit einer Tablette vertreiben kann. Nicht die Sehnsucht. Zuerst habe ich gehofft, sie hätte mich nur kurz besucht um mich daran zu erinnern, dass sie da ist. Aber sie blieb. Wie eine Grippe hat sie sich an mir festgemacht, und wie bei einer Grippe wurden ihre Symptome immer stärker. Ich habe versucht, sie zu verscheuchen. Zu ignorieren. Mich abzulenken. Ich hangelte mich durch die Momente in der Hoffnung, sie sei im nächsten verschwunden. Ich wollte sie überlisten, indem ich versuchte, ihr keine Aufmerksamkeit zu schenken. Zum Schluss ging sie mir dermassen auf die Nerven, dass ich sie anschrie. War ihr alles egal. Sie lachte nur, denn sie wusste, was ich noch nicht wusste. Dass sie ist wie eine Krankheit. Und genauso behandelt werden will. Wer eine Grippe hat, der glaubt auch nicht im Ernst daran, sie durch Gedankenbeherrschung loszuwerden. Niemand käme auf die Idee, eine Grippe einfach zu ignorieren oder sich vollkommen auf den jetzigen Moment zu konzentrieren um sie zu vergessen. Und niemand würde sich dafür schelten, wenn ihm das nicht gelingt. Wer eine Grippe hat, der legt sich ins Bett, trinkt Tee, schwitzt und schläft. Wer eine Grippe hat, ist krank. Ganz einfach.
Es dauerte ein Weilchen, bis ich das begriff. Bis ich zugeben konnte, dass meine Gedanken nicht mehr meine Gedanken waren, sich gegen mich verbündet hatten, um dieser alles beherrschenden Sehnsucht zu frönen. Dass sie mich bei allem erwischen würde, was ich tat, egal was es war.
Aber dann war ich soweit. Wer krank ist, ist krank. Soll krank sein. Also meldete ich mich ab und weinte. Spürte die Schmerzen im Bauch und ums Herz, die Kälte und das Ziehen. Stieg hinab in die Leere und die endlos lange Zeit, die noch vor mir lag. Tat nichts anderes als weinen. Auf dem Sofa liegen. Warten. Krank sein. Vor Sehnsucht.
Irgendwann rief er an. Da war alles wieder gut.
komme heute zufällig auf diese Deine Seite, Chère Sabina.
Sehnsucht …. –
Schelling – Ueber das Wesen der menschlichen Freiheit – hat 1809 geschrieben:
Dies ist die allem menschlichen Leben anklebende Traurigkeit, die aber nie zur Wirklichkeit kommt, sondern nur zur ewigen Freude der Ueberwindung dient.
Daher der Schleider der Schwermut, der über die ganze Nur ausgebreitet ist, die tiefe nuzerstörliche Melancholie alles Lebens.
Woooh !
Zu diesem Satz hat George Steiner, geb. 1929 Paris, Dozent in Cambrigde, in einem kleinen Suhrkamp Büchlein (Taschenbuch 3981) “Warum denken traurig macht” 10 (mögliche) Gründe notiert…
eine happige Lektüre, brilliante Variationen in zehn Sätzen übe Glanz und Elend des Denkens….- bei dieser Hitze auch bei unter Null gut lesbar: … man denkt ja immer…lächle
rundum gute Sommertage
Paolo
Vielen Dank, lieber Paolo!
Zum Glück ist meine Zeit der Sehnsucht vorbei – ich habe sie überlebt. 🙂
Dass Denken traurig machen kann, stimmt natürlich. Allerdings geht es auch umgekehrt, so man seine Gedanken dann unter Kontrolle hat. Was aber, wie gesagt, nicht immer ganz einfach ist – zum Beispiel, wenn eben die Sehnsucht ihren Tribut fordert. Aber das hatten wir ja schon … 😉
Auch dir schöne Hitzetage – ich verzieh mich in den Schatten und warte, bis sie vorbei gehen. Und das werden sie, genauso wie die Sehnsucht …
Herzlich, Sabina