Von der Vorweihnachtszeit
Ich habe keinen Vorweihnachtsstress. Vielleicht liegt das daran, dass ich weder einen Christbaum im Wohnzimmer stehen habe noch mich um Geschenke kümmern muss, denn das haben wir in meiner Familie schon vor vielen Jahren abgeschafft. Auch die Weihnachtsfeiern sind nicht, wie bei anderen Sippschaften, ein Pulverfass für handfeste Streitereien. Bei uns wird viel gelacht, und natürlich gegessen, und das ganz ohne Weihnachtslieder. Mit diesen Voraussetzungen bin ich natürlich klar im Vorteil. Wenn andere nach Feierabend von Geschäft zu Geschäft hetzen oder bibbern müssen, dass das online bestellte Geschenk nicht rechtzeitig eintrifft, betreffend der Planung der Weihnachtstage eine logistische Hochleistung vollbringen um sicherzugehen, dass die beiden Verwandten, die allergisch aufeinander reagieren, nicht am gleichen Tag eingeladen werden, während all das abläuft, schlendere ich gemütlich durch die Stadt. Ich habe Zeit, um mir im Schaufenster all die schönen Sachen anzusehen, die man einander schenken könnte, die man aber nicht wirklich braucht. Zeit, um die Weihnachtsbeleuchtung zu studieren, die Bäume, mit den Lichterketten an ihren nackten Ästen, die mich an die stolz herausgeputzten Damen erinnern, die von ihren Männern endlich mal wieder ins Theater ausgeführt werden. Zur Weihnachtsvorstellung.
Wenn ich friere, setze ich mich in ein Café. Ich suche mir eines aus mit gemütlichen Sesseln und einem nach Zimt riechenden, kuscheligen Angebot auf der Karte. Eines, das einem Geborgenheit vorgaukeln kann. Eines, in dem es einem leicht fällt zu glauben, dass die bevorstehende Weihnacht besinnlich wird, glückselig, etwas ganz Besonderes. Dass etwas ganz, ganz Grosses auf einen wartet. Dass das neue Jahr das beste des Lebens werden wird. Mit viel Glück, Liebe, Erfolg und was einem sonst noch so glücklich macht. In einem solchen Café trinke ich eine Chocolat mélange und finde, dass Weihnachten zumindest als Vorfreude schön ist.
Die einzigen Geschäfte, die mich auf einem solchen Stadtbummel verführen können sind die Buchhandlungen. Ich weiss nicht warum, aber in der Vorweihnachtszeit habe ich eine noch unbändigere Lust auf Geschichten. Ich sehe mich im Geiste schon tagelang auf dem Sofa liegen und mich in einem dicken Schmöker verlieren, die Katze zu meinen Füssen und der duftende Tee neben mir. Ich freue mich auf die Weihnachtsfilme im Fernsehen. Nicht auf die kitschigen, sondern auf die, die glücklich machen. Die, die einem ermutigen, den eigenen Weg zu gehen und seinen Traum nicht aufzugeben. Die, die einen wissen lassen, dass immer dann, wenn man glaubt nun sei alles verloren, irgendetwas geschieht, das die Sache doch noch ins Gute kehrt. Dass man sich auf die göttliche Intervention verlassen kann.
Ich mag sie, diese Zeit, und ich geniesse sie. Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude. Irgendwann ist sie vorbei und hat sich, wie auch all die Jahre zuvor, doch nicht erfüllt. Das Weihnachtsfest wird kommen und gehen, und nichts wird sich ändern, nichts „ganz, ganz Grosses“ wird geschehen. Die heimliche Hoffnung, dass einem doch jemand eines dieser schönen Stücke aus einem der Schaufenster schenkt, wird leise dahin rieseln wie die Schneeflocken vor dem Fenster. Die Familienfeier wird ablaufen wie jedes Jahr, und wenn ich nachhause fahre werde ich mich nicht anders fühlen als an einem anderen, ganz normalen Abend im ganzen langen Jahr.
Aber davon will ich jetzt noch nichts wissen. Ich will auch nicht hören, dass der Weihnachtskranz, den die Hausbesitzerin jedes Jahr an unsere Türe hängt, schon wieder gestohlen wurde. Ich will träumen, Zimttee trinken und Bücher kaufen. Ich will mit den Lichterbäumen reden und Kerzen anzünden. Und mir vorstellen, wie es wäre, wenn dieses Jahr … vielleicht eben doch … man weiss ja nie …
Bevor ich nachhause fahre, muss ich im Reformhaus noch etwas abholen. Ich stehe noch nicht ganz im Geschäft, da tritt bereits ein Mann auf mich zu und fragt mich, was ich wünsche. Und was für ein Mann! Eine Mischung aus verständnisvollem Busenfreund und Mann aus den Bergen. Die Augen vom Busenfreund, den Körperbau aus den Bergen, die langen, grauen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Was bei vielen anderen läppisch aussehen würde, steht ihm einfach umwerfend. Ich stammle, ich hätte etwas bestellt, sage meinen Namen. Als er meine Bestellung holt, habe ich Zeit, mich etwas zu erholen. Er steht noch nicht bei der Kasse, als er schon fragt: „Haben Sie sonst noch einen Wunsch?“ Was für eine Frage! Mit himmlisch schönen Händen bedient er die Kasse. Ehering, na klar. Ich strecke ihm die Geldnote hin, und einen Augenblick schauen wir uns in die Augen. „Wir hatten das Produkt nicht vorrätig, aber wir konnten es bestellen“, meint er. Und dann zwinkert er mir tatsächlich zu und sagt: „Sehen Sie, es geht doch!“
Ich habe seine Worte noch im Ohr, als ich aus dem Geschäft taumle. „Es geht doch“, hat er gesagt, mein ganz persönlicher Weihnachtsmann. Und dem Weihnachtsmann, dem kann man das ja schliesslich glauben, oder?
E schöni Gschicht!
Ps: Was isch das für e Reformhus??? 😉
Die Frage nach dem Reformhaus (siehe Kommentar von “Christina”) habe ich direkt beantwortet. Hier aber soll das ein Geheimnis bleiben … 😉